Albert
Oehlen
27.8.23 – 17.12.23
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Eine Welt, in der die Ungewissheit fundamental ist, beschädigt und entwertet sämtliche Symbole, Zeichen, Worte, Farben. »Das finde ich anregend«, sagt Albert Oehlen und entblößt die Malerei in all ihrer Fragwürdigkeit. Er erfindet ein offen fragmentiertes Bild, das so haltlos ist wie die Realität, an der es teilhat. Spuren, Reize und Nachbilder blitzen stroboskopisch über seine Leinwände

Sein eigenes Bild ist nicht eins, sondern viele. Zusammengesetzt aus Bruchstücken aller Bilder, Zeiten, Eindrücke. »Ich hab’ das Gefühl, dass meine Bilder, dass meine Kunst überhaupt sehr in der Zeit liegt, dass ich aktuell bin«. Mit jedem neuen Bild aktualisiert er die vagen Möglichkeiten der Malerei, hält der diffusen Wirklichkeit den Spiegel vor und gibt ihr eine angemessene Form.

Für die Friedrichs Foundation hat Oehlen erstmals eine raumumfassende Installation geschaffen, die sich über die gesamte Ausstellungshalle erstreckt. Monumentale Ausschnitte aus spanischen Billboards zeigen in harter Buchstäblichkeit Bademode, Fast Food, Automobilität und Sport. Konsum und Selbstoptimierung als schillernd banaler Exzess der Jetztzeit.

Oehlen begreift die Ausstellungshalle als Bildraum. Er tapeziert nicht bloß die Wände, sondern verbindet die Plakate mit zwölf Gemälden und Zeichnungen aus fast 30 Jahren. Der ganze Raum wird zur Collage. Aus unzähligen Blickwinkeln stoßen Malerei, Text- und Werbefragmente aufeinander, überlagern, verdrängen, verbinden sich oder brechen auseinander.

Motivisch bringt er in dieser Raumcollage Banalität, unverlässliche Versprechen und Lüge in Stellung, bildnerisch erzeugt er Instabilität, Schwindel und Taumel. Widersprüchliche Bedeutungen hebeln sich gegenseitig aus und treffen doch in immer neuen Konstellationen aufeinander.

Die ›Ausstellung als Collage‹ enthüllt auf bestechende Weise Oehlens Bilddenken. Ein Denken, das Malerei als brüchige Sprache disparater Gegenwartsmomente versteht. Nichts hat miteinander zu tun, aber alles bezieht sich auf alles, immer. Ein Denken, das Konfrontation statt ausgewogener Komposition sucht, kein Zentrum oder einschränkende Grenzen kennt, sondern allein exzentrisch kreisende Bildkräfte.

Ohne Titel, 1992 / 2008, platziert auf Sundaes mit Sahnehauben, ist ein frühes Computer-Bild. Auf Leinwand collagierte Siebdrucke, die Oehlen mit einem rudimentären Zeichenprogramm auf einem der ersten Texas Instruments-Laptops erstellt hat. Unförmige Schlaufen, Bänder in symmetrischem Rapport, Rauten, Kreuze, einzelne Pixel — in unterschiedlichen Größen, unregelmäßig und nicht deckend aufgebracht. Nur geht der Computer wirklich über das Menschliche hinaus? Erkennt man, was authentische Geste und was reproduziertes Gefühl ist? Oehlen genügt es nicht. Mit Öl und Lack übermalt, staucht und dehnt, zerrt und reißt er an allem. Er korrigiert die Maschine von Hand, bis wieder Bild da ist. Malerei ein Palimpsest unzureichender digitaler Tiefenschichten.

Über einem goldenen Seat Ibiza erscheint das in grauen Lasuren vermalte Absteigende heiße Strahlen, 2003, eigenwillig entrückt in surrealer Helligkeit. Als wäre es ausgewischt, verhüllt sich das Bild. Es bleibt offen und findet erst gar nicht in eine klare Form. Die Fläche hat keinen Fluchtpunkt, alle Orientierung zerrinnt. Das Bild steigt und sinkt gleichermaßen, umkreist sich. Was taucht aus dem Grau auf? Arkaden? Ein tropfender Eimer, ein umgedrehter Blumentopf oder der Lichtkegel einer Lampe? Wege durch Landschaft oder düstere Strahlen? Schmelzende Körper oder organische Formen? Oehlen verweigert sich jedweder Komposition und lässt das Bild immer wieder ins Gestaltlose zurückfallen.

Die Zerrissenheit des handgemalten Gemäldes gegenüber der Vulgarität des Werbebildes führt Oehlen auf FM 31, 2008, und Ohne Titel, 2010, vor Augen. Eingebettet in das beige Farbfeld trägt FM 31 die Reproduktion eines Gemäldes und eine Plakatwerbung für Kalbsleber. Den anmutig gemalten und dezent geschmückten Körper nimmt er zurück, das roh angepriesene Fleisch — 4,99 EUR das Kilo — stellt er umso drastischer heraus. Ware dominiert Kunst. Und dennoch ist es die »Fingermalerei«, das Gewebe von Oehlens Fingerspuren, das das Bild mit violetten, orangen, ockernen, gelben, braunen, grünen und weißen Striemen und Flecken gerade noch in der Waage hält.

Ohne Titel hingegen stammelt. Die Worte »Porque Comercial Arte« ergeben eine grammatikalisch falsche, jedoch grundlegende Frage: »Warum ist Kunst kommerziell?«. Quer ins Bild ist erneut ein Plakat geklebt, diesmal ein Frauenbein mit Flanellschlaghose und glänzendem Krokodilkunstlederstiefel. Der übrige Körper ist nicht auszumachen. Mit breiten Strichen, derben Verwischungen und Abläufen behauptet sich die Malerei gegenüber dem schlichten Werbemotiv. Gewieft verschiebt Oehlen den Kontext vom applizierten ready-made-Motiv hin zur malerischen Geste. Was allerdings nichts an der prinzipiellen Frage ändert, wie kompromittiert ein jedes Bild ist.

I 6 und I 7, beide 2009 und umgeben von Burgern, »Nuevo«- und Burger-King-Logos in denselben Farben, sind reine Collagen. Billboardwerbung für Silvester 2007, Maschinenwerkzeuge und innovativen Stil arrangiert Oehlen zu »Interieuren«. Schrift wird Bild, das eventuell sogar die Umrisse von Figuren und Stehlampen zu erkennen gibt. Nur bleiben die Worte unverständlich und unbestimmt. Sie sind ort- und bezugslos. Sie behaupten Interiorität und Innerlichkeit, obwohl sie pure Oberfläche sind. Keine Tiefe, selbst wenn rechts oben auf I 6 motivisch ganz korrekt ein bewölkter Himmel liegt.

Noch deutlicher als auf den FM-Bildern tritt auf den Kohlezeichnungen Ohne Titel, 2012, Ohne Titel, 2013, und Ohne Titel, 2016, die auf sich allein gestellte Geste der Hand hervor. Der Strich ist verletzlich und suchend, zittert und zögert und durchmisst die enormen Blätter doch mit Entschiedenheit. 20 Jahre nach den digital konstruierten Lineaturen der Computer-Bilder scheinen sich diese Papiere vollkommen von äußeren Einflüssen gelöst zu haben. Fast, als hätte Oehlen alle oberflächlichen Schichten, Lagen und Hüllen abgetragen und unvermittelt sein gestisches Nervensystem freigelegt.

Mit Nervenenden, die plötzlich Wurzeln schlagen und mitten im Bildzentrum zu einem wuchtigen Baum aufwachsen. Denn, »wenn man sagt«, so Oehlen, »da ist in der Mitte etwas Verdicktes und nach außen wird es dünner, da streben Striche davon weg«, erblickt man auf Ohne Titel (Baum 15), 2014, tatsächlich einen Baum. »Und wenn man auf einen der Baumäste guckt, sieht man auch, dass der sich einiges einfallen lässt. Und so habe ich das Repräsentative erfüllt, kann auf der anderen Seite dem ›Auftrag des abstrakten Künstlers‹ gerecht werden und möglichst seltsame Linienführung stattfinden lassen.« Ein Vexierbild zwischen konkret-abstrakten Formen, technoidem Dibond, diffizil modellierten Farbverläufen und figürlichen Gesten.

Ohne Titel (Farbfeld), 2017, scheint dagegen ein ungewöhnlich strenges Bild zu sein. Statt aufrührerischen Vermalungen ein geordnetes Raster aus 105 einzelnen Farbflächen mit gleichbleibenden Rahmen und Stegen. Ohne Frage ist das Bild eine Aneignung von Gerhard Richters Farbtafeln, 1966–1974. Doch völlig anders als Richter, der als Paraphrase von Duchamps indifferenten ready-mades zunächst gewollt unexpressiv Farbmusterkarten abmalt und später penible Anordnungen errechnet, erzeugt Oehlen unmittelbar visuellen Trubel. Ohne Titel (Farbfeld) ist kein gleichgültiges Bild. Die Farbverteilung ist offensichtlich agitierter. Auf einem gelassenen, überwiegend gelben Fundament schrauben sich die primären und komplementären Kontraste Blau zu Rot zu Grün immer intensiver und zugespitzter nach oben. Eine weitere Störung der vermeintlich makellosen Ordnung ist die 48. Position, die krude herausgeschnitten und mit grellem Orange hinterklebt wurde. So wundert es auch nicht, dass sich das Bild mit der als verführerischer Meerjungfrau posierenden Bar Refaeli zeigt. Der verkaufsfördernden, per Signatur verbürgten Sinnlichkeit entspricht Oehlens expressive Aufsässigkeit, die selbst die größte Strenge aus dem Konzept zu bringen vermag.

Celebrate our Struggle, 2018, ist eine augenzwinkernde Hommage an den jamaikanischen Dancehall-Deejay Yellowman. Die vom Signalgelb der Alubondplatten geschürten Erwartungen unterläuft er mit spärlichen, nahezu archaischen Gesten: Gemalte Linie gegen eine Kette aus gesprühten Kreisen, Horizontale gegen Vertikale, Glattheit gegen Rauheit, Persönliches gegen Unpersönliches, Form gegen Gestaltlosigkeit. Sogar noch bei solch visueller Kargheit sind Albert Oehlens Bilder eine permanente Überforderung. Was bleibt, sind einzelne Worte, Farben, »Dinge«, »Essen«, »Räume«, wie sie Gertrude Stein schon 1914 in Tender Buttons festhielt:

»Jedes Mal, wenn da eine Oberfläche ist, ist es eine Oberfläche und jedes Mal, wenn da eine Andeutung ist, ist es eine Andeutung und jedes Mal, wenn da Stille ist, ist es Stille und jedes Mal, wenn es träge ist, da ist das dann da und nicht öfter, nicht immer, nicht besonders, zart und wechselhaft und äußerlich und zentral und umgeben und einzig und einfach und dasselbe und die Fläche und der Kreis und der Glanz und der Beistand und das Weiß und dasselbe und das Bessere und das Rot und dasselbe und das Zentrum und das Gelb und das Zarte und das Bessere und überhaupt.«
A world, in which uncertainty is fundamental, damages and devalues all symbols, signs, words, colors. »For me that’s stimulating,« Albert Oehlen confesses and unmasks painting in all its dubiousness. He invents an overtly fragmented image, which is as disoriented as the reality, in which it partakes. Traces, stimuli and after images flash stroboscopically across his canvases.

His own ›image‹ is not one but many. Assembled from the offsets of all pictures, decades, sensations. »I feel that my paintings, that my art in general is very much of its time, that I am contemporary.« With every new image, he updates the vague possibilities of painting, thereby holding up a mirror to the diffuse reality and granting an appropriate form to it.

For the first time, Oehlen has created an all-encompassing installation at the Friedrichs Foundation, spanning the entirety of the exhibition hall. Monumental cut-outs from Spanish billboards present swimwear, fast food, automobility and sport in crude literalness. Consumption and self-optimization as the dazzlingly banal excess of the now.

Oehlen grasps the exhibition space as pictorial space. He doesn’t just paper the walls but integrates the posters with twelve paintings and drawings from almost 30 years. The entire room becomes a collage. From countless angles, painting, text and advertising fragments collide, overlap, dislocate, interlock or break apart.

Motivally, he positions banality, unreliable promises and lies in this spatial collage, pictorially, he generates instability, vertigo and frenzy. Contradictory meanings undermine each other and yet clash in ever new constellations.

The ›exhibition as collage‹ manifests Oehlen’s pictorial mindset in a staggering way. A mindset that understands painting as a fragile language of a disparate nowness. Nothing has anything to do with each other but everything relates to everything else, always. A mindset that seeks confrontation instead of well-balanced composition, that knows no center or restrictive boundaries but only eccentrically swirling pictorial forces.

Untitled, 1992 / 2008, placed on sundaes with cream toppings, is an early Computer Painting. Screen prints collaged onto canvas, which Oehlen created with a rudimentary drawing program on one of the first Texas Instruments laptops. Shapeless loops, ribbons in symmetrical rapport, diamonds, crosses, solitary pixels—applied in different sizes and with irregular omissions. But does the computer really surpass the human? Can you tell an authentic gesture from a reproduced sentiment? For Oehlen, it’s not enough. He paints over, compresses and stretches, tugs and tears at everything. He corrects the machine by hand until the image reappears. Painting a palimpsest of the insufficient digital layers underneath.

Above a golden Seat Ibiza, Absteigende heiße Strahlen, 2003, painted in gray washes, appears strangely enraptured in surreal brightness. As if it had been wiped out, the image is veiled. It remains open and never finds into a distinct form. The plane has no vanishing point, all orientation dissipates. The image rises and falls in equal measure, encircling itself. What emerges from the gray? Arcades? A dripping bucket, an upturned flower pot or a lamp’s cone of light? Rural routes or gloomy rays? Melting bodies or organic forms? Oehlen refuses any kind of composition and allows the image to fall back into shapelessness over and over again.

In FM 31, 2008, and Untitled, 2010, Oehlen demonstrates the torn nature of the hand-painted painting in relation to the vulgarity of the advertising image. Embedded in the beige color field, FM 31 carries within the reproduction of a painting and a poster advert for veal liver. He veils the delicately painted and discreetly adorned body and exposes the raw meat—4.99 EUR per kilo—all the more drastically. Commodity dominates art. And yet, it is the »finger painting,« the fabric of Oehlen’s fingerprints, that just about keeps the pictorial scales with purple, orange, ochre, yellow, brown, green and white weals and stains.

Untitled, on the other hand, stutters. The words »Porque Comercial Arte« articulate a grammatically incorrect but fundamental question: »Why is art commercial?«. Another poster is pasted across the image, this time a woman’s leg with flannel trousers and a shiny crocodile leatherette boot. The rest of the body cannot be made out. With broad strokes, rough blurring and runoffs, painting asserts itself against the bland advertising motif. Oehlen cunningly shifts the context from the applied ready-made motif to a painterly gesture. However, this doesn’t change the basic question of how compromised each image is.

I 6 and I 7, both 2009 and surrounded by burgers, »Nuevo« and same colored Burger King logos, are pure collages. Oehlen arranges billboard adverts for New Year’s Eve 2007, machine tools and innovative style into »interiors.« Writing becomes image, which may even reveal the outlines of figures and floor lamps. But the words remain incomprehensible and indeterminate. They are without place or reference. They claim interiority and inwardness, even though they are mere surfaces. No depth, even if there is a cloudy sky at the top right of I 6, which at least motivally seems quite correct.

In the charcoal drawings Untitled, 2012, Untitled, 2013, and Untitled, 2016, the solitary gestures of the hand emerge even more clearly than in the FM Paintings. The stroke is vulnerable and searching, trembles and hesitates and yet fathoms the enormous sheets with determination. 20 years after the digitally constructed lineatures of the Computer Paintings, these papers seem to have completely detached themselves from external influences. Almost as if Oehlen had dismantled all superficial layers, strata and shrouds and suddenly exposed his gestural nervous system.

With nerve endings that suddenly take root and grow into a massive tree right in the center of the image. For »when you say,« Oehlen ponders, »there’s something thickened in the middle and it gets thinner towards the fringes, lines extend away from it,« you can actually see a tree in Untitled (Baum 15), 2014. »And if you look at one of the tree branches, you can also see that it has come up with something. And so, I have fulfilled the representational but on the other hand I can do justice to the ›abstract artist’s duty‹ and allow the strangest of possible lines to take place.« A puzzling image between concrete-abstract forms, technoid Dibond, intricately modeled color gradients and figurative gestures.

Untitled (Farbfeld), 2017, however, seems to be an unusually strict painting. Instead of riotous color, it is an orderly grid of 105 individual color fields with consistent frames and bars. Without question, the painting is an appropriation of Gerhard Richter’s Color Charts, 1966–1974, but in complete contrast to Richter, who, paraphrasing Duchamp’s indifferent ready-mades, purposefully depicted inexpressive sample cards and only later meticulously calculated said arrangements, Oehlen instantly creates visual turmoil. Untitled (Farbfeld) is not an indifferent image. The distribution of colors is obviously more agitated. Upon a placid, predominantly yellow base, the primary and complementary contrasts of blue to red to green spiral ever more intensely and aggravatedly upwards. A further disruption to the supposedly flawless order is the 48th position, which has been crudely cut out and pasted over with flashy orange. It’s therefore not surprising that the painting appears along Bar Refaeli posing as a seductive mermaid. Her promotional sensuality guaranteed by her signature corresponds to Oehlen’s expressive rebelliousness, which is capable of upsetting even the most rigorous of concepts.

Celebrate our Struggle, 2018, is a cheeky homage to the Jamaican dancehall deejay Yellowman. The expectations stoked by the signal yellow of the Alubond panels are constantly undermined with sparse, almost archaic gestures: painted line v a chain of sprayed circles, horizontal v vertical, smoothness v coarseness, the personal v the impersonal, form v shapelessness. Even in such visual sparsity, Albert Oehlen’s paintings are a permanent overload. What remains, are solitary words, colors, »objects«, »food«, »rooms«, as already recorded by Gertrude Stein in Tender Buttons in 1914:

»Any time there is a surface there is a surface and every time there is a suggestion there is a suggestion and every time there is silence there is silence and every time that is languid there is that there then and not oftener, not always, not particular, tender and changing and external and central and surrounded and singular and simple and the same and the surface and the circle and the shine and the succor and the white and the same and the better and the red and the same and the centre and the yellow and the tender and the better and altogether.«