André
Butzer
7.5.22 – 28.8.22
10
André ButzerAndré Butzer
André Butzer
Grablegung von Winnie Puh / Entombment of Winnie the Pooh, 2010
Öl auf Leinwand
260 × 340 cm
André Butzer
Grablegung von Winnie Puh / Entombment of Winnie the Pooh, 2010
Oil on Canvas
102.3 × 133.8 in.
André ButzerAndré Butzer
André Butzer
Ohne Titel, 2011
Öl auf Leinwand
280 × 460 cm
André Butzer
Untitled, 2011
Oil on Canvas
110.2 × 181.1 in.
André ButzerAndré Butzer
André Butzer
Ohne Titel, 2016
Öl auf Leinwand
310 × 430 cm
André Butzer
Untitled, 2016
Oil on Canvas
122 × 169.2 in.
André Butzer
Ohne Titel (Früchte), 2016–2017
Öl auf Leinwand
290 × 430 cm

André Butzer
Untitled (Früchte), 2016–2017
Oil on Canvas
114.1 × 169.2 in.

André Butzer

André Butzer

André Butzer
Ohne Titel 1–8, 2021
Aquarell und Buntstift auf Papier
je 42 × 29,7 cm
André Butzer
Untitled 1–8, 2021
Watercolor and Crayon on Paper
each 16.5 × 11.6 in.
André Butzer
In lieblicher Bläue blühet
mit dem metallenen Dache
der Kirchturm
André Butzer
In lieblicher Bläue blühet
mit dem metallenen Dache
der Kirchturm
André Butzer ist 36, als die Grablegung von Winnie Puh / Entombment of Winnie the Pooh, 2010, entsteht. In den vorangegangenen 15 Jahren hat er sich durch alles, »was man hat, Farbe, Form, Ausdruck, Themen, Widersprüche«, gemalt, um zu seinem eigenen Bild zu gelangen. Ein Bild, in dem die Geschichte mit all ihren Extremen gleichwertig in Hoffnung und Schrecken ausgetragen wird. Bis sie schließlich motivisch an ihr Ende kommt und das Bild zu sich.

Auf einer schroffen und pastosen Untermalung zeigt sich Winnie Puh in sanftem Nachtblau. Schmelzend oder in einem Guss hingeworfen, fast kosmisch wie ein schimmernder Sternenhimmel. Es ist Butzers letztes figürliches Bild vor seinen N-Bildern. Die honiggoldene Form treibt zugleich auseinander und stockt. Eine eindeutige Gestalt ist nur noch vage auszumachen, ob nun Bär, Wabe oder Goldklumpen. Farblich innig aufeinander bezogen, wird das Gold dem Blau wirkmächtig eingebettet.

Im Bild begegnen sich entrückte Ferne und fassbare Nähe. Noch betont von zwei enormen weißen Bögen, die dem goldenen Farbkörper wie zwei jenseitige Seelenbegleiter den Weg weisen oder als weißes Handschuhpaar aus einen Disney-Cartoon behutsam zur letzten Ruhe legen. Mit leichtem Hauch ist das Weiß durchwirkt von den drei Primärfarben sowie der von Butzer ergänzten vierten Grundfarbe, dem Inkarnat, das einen menschlichen Bezug selbst inmitten höchster Abstraktheit verkörpert und anwesend sein lässt.

So abrupt wie Figuration, Pastosität und alle Buntheit zurückgenommen sind und einbehalten werden, besteht das Bild als Bild doch.

Hoch und weit steht Ohne Titel, 2011, wolkengleich aufgestrichen, in zartem Silbergrau. Allein von zwei Formen gehalten, mit tiefschwarzen Bändern in das bewegte Bildfeld gezogen. Oben eine horizontal gelagerte. Zur rechten Bildseite hin eine vertikal aufragende. – Eine Senkrechte, die bereits von einem unmerklichen ›Pfahl‹, der im Winnie Puh-Bild steckt, vorweggenommen war. – Jeweils für sich gesetzt, sind diese beiden Formen ebenso suchend, vorsichtig und in zögerndem Abwägen wie entschieden, fraglos und präzise. In dieser ausgetragenen Gegensätzlichkeit findet das Bild erst zu seiner vollen Offenheit und seinem unverrückbaren Halt.

Es ist ein intuitiver Balanceakt. Lichtet sich das Grau zu gleißendem Weiß, erhöht Butzer auch Intensität und Ausdehnung des Schwarzes. Überhaupt denkt er alle vermeintlichen Gegensätze in eins. Die unverwechselbare Gestalt eines Bildes ist nicht konstruiert oder vorab berechnet, sie ist immer schon ein unteilbares Ganzes. Etwa die Grundrichtungen des Bildes, die gemeinsam die Dimensionen der Fläche ermessen. Selbst Schwarz und Weiß sind ein einziger »Lichtklang, der das Dualistische hinter sich gelassen hat«. Die Buntfarbe ist keineswegs aufgegeben, sondern als potenzielle Farbigkeit vollkommen da.

Butzer lässt die N-Bilder eskalieren. Die schwarzen Bänder expandieren. Das Dunkle verdrängt alles Lichte. Das Weiß schwindet. Alles wird beklemmend eng. Die obere horizontale Form wird massiver und derart schwer, dass sie die Vertikale zusammengestaucht und beinahe erdrückt. Trotzdem behauptet sich diese über Jahre hinweg und gewährleistet mit ungeheurer Anstrengung den ausgeglichenen Zusammenhalt der Bilder.

Unaufhaltsam und übermächtig breitet sich die bedrückende Schwärze aus. Doch im Augenblick der absoluten Überwältigung, als die Bilder verloren und im Schwarz zu vergehen scheinen, öffnet sich hell wie auf Ohne Titel, 2016, eine einzelne, feine Lichtbahn. Im Augenblick ihrer eigenen Auslöschung schlagen die Bilder um. Es ist die unscheinbare senkrechte Fuge, die das bildnerische Gleichgewicht wieder herstellt.

Die Frage bleibt, warum Butzer, nach allem, was war, sieben Jahre lang derartige Bilder malt. Von Anbeginn hat er malerisch das angegriffene Dasein des Menschen befragt und nach wie vor ringt er darum. Die Geste seiner Hand geht in den Gestus der Bilder ein. Eine »expressive Regung«, die als bildnerischer Nachhall menschlicher Anwesenheit auf jedem N-Bild zu spüren ist.

Ausgehend von Lucca Signorellis Allegorie Vivant portant le Mort, 1500 – ein Lebender, der einen toten Körper auf den Schultern trägt –, findet Butzer ein Gleichnis für die menschliche Existenz. Aus dem elementaren Bezug von Horizontaler und Vertikaler schafft er eine Bildfigur, die unabwendbar die Endlichkeit, damit jedoch auch die Möglichkeiten des Daseins vor Augen stellt. In diesem ungeheuren Verhältnis haben die N-Bilder ihr immaterielles Maß. In bildloser Unmittelbarkeit ist ein jedes einmalig, unwiederholbar, individuell. Ein Individuum, das uns unerwartet und jedes Mal von neuem herausfordert, nach unserem wankenden Stand in der Welt zu fragen.

Waren die frühen N-Bilder ein Übertritt an den existenziellen Ort des Bildes, erscheinen die späten wie eine erneute Hinwendung zur Welt. Zusammen bilden alle N-Bilder eine Schwelle, die sich für die vollzählige Erfahrung von Leid und Freude, Diesseits und Jenseits, Tod und Leben offenhält. Eine Schwelle, die »nicht körperlich ist und zugleich doch wieder körperlich wirkt«. Vollkommen fremd, aber ganz menschlich. Gebrochen, schamvoll und überwältigt, aufrecht, gefasst und standhaft.

Damit ist Ohne Titel (Früchte), 2016–2017, auch nur scheinbar ein figürliches Bild. Das strahlende Orange wird zu einer Art Goldgrund. Es öffnet einen Ort reinen Erscheinens, auf dem die beiden »Früchte« sowohl »Symbole für Abstraktion«, mit denen Butzer immer schon sein »zukünftige[s] Bild von Mensch, Körper, Fleisch und von Kartoffelchips« erfindet, als auch Wiederkehr und Neugeburt nach den N-Bildern verkörpern.

»Diese ›Figuren‹ […] waren immer schon abstrakt, schon ganz am Anfang. Sie symbolisierten den Weg von einem anfangs unbekannten Endpunkt hin zum eigentlichen Anfang«. Dieses allmähliche Zu-sich-kommen der Bilder drückt sich zudem in acht Aquarellen aus, die wie ein verbindendes Band den goldenen Ton aus Winnie Puh aufnehmen, sich mit den N-Bildern verweben und schließlich, diesen wieder entspringend, als fließender Strom schillernder Lichttupfen im Früchte-Bild münden.

Vom letzten figürlichen Bild vor N zum ersten scheinbar figürlichen Bild nach N, von einem der ersten N-Bilder hin zu einem der letzten spannt die Ausstellung zwei große, gegenseitig verschränkte Bögen. Eine bedacht aufeinander bezogene Konstellation, in der das einfache Miteinander der vier Bilder eine Ahnung gibt von der Weite und Ganzheitlichkeit, die André Butzers malerischer Erfahrungshorizont umfasst.
André Butzer is 36, as the Grablegung von Winnie Puh / Entombment of Winnie the Pooh, 2010, is created. Over the previous 15 years, he has moved through »everything he had, color, form, expression, themes, contradictions,« to get to his own image. An image in which history, with all its extremes, is acted out equally in hope and terror. Until it finally comes to its end motivally and the painting to itself.

On a craggy and pastose ground Winnie Puh emerges in a tender night blue. Meltingly or as if thrown down in one pour, almost cosmic as a shimmering starry sky. It is Butzer’s last figurative painting before his N-Paintings. The honey-golden form drifts apart and falters at the same time. A clear shape can only be vaguely sensed, be it a bear, honeycomb or a gold nugget. As the colors are intimately interrelated, the gold is potently embedded into the blue.

Within the painting, receded distance and tangible closeness meet. Further accentuated by two enormous white arches, guiding the way for the golden lump like two otherworldly companions of the soul or as a pair of white gloves straight out of a Disney cartoon gently lay it to rest. With a light air, woven into the white are the three primary colours and a fourth one added by Butzer, the incarnate, embodying and allowing for a human presence even amidst of the highest abstraction.

As abruptly as figuration, pastosity and all colors are withdrawn and kept within, the image as image nonetheless persists.

High and wide stands Untitled, 2011, laid on cloud-like, in delicate silver-gray. Held alone by two forms, deep black bands drawn into the agitated pictorial field. At the top, a horizontal one. Towards the right side a vertical one.—A perpendicular, already anticipated by an imperceptible ›stake‹ stuck into the Winnie the Pooh painting.—Each placed in its own right, these two forms are just as searching, cautious and hesitantly pondering as they are decisive, unquestioning and precise. It is for this opposition that the picture finds into its full openness and immovable hold.

It is an intuitive balancing act. If the gray turns to glistening white, the intensity and expansion of the black is also increased. Butzer thinks all supposed opposites as one. The unmistakable form of a painting is neither constructed nor calculated in advance, it is always an indivisible whole. For instance, the basic directions of the image mutually measure the planar dimensions. Even black and white are a single »sound of light that has left the dualistic behind«. The colors are by no means abandoned but completely integrated and present in potential chromaticity.

Butzer lets the N-Paintings escalate. The black bands expand. Darkness displaces all light. The white wanes. Oppressively, everything closes in. The upper horizontal form becomes more massive and so heavy that it crushes and almost collapses the vertical. Despite this, the latter asserts itself over the years and with tremendous effort ensures the balanced cohesion of the images.

Unstoppable and overpowering, the repressive blackness spreads. Yet at the moment of absolute overwhelming, when the images seem to be lost and fading into black, brightly, as on Untitled, 2016, a single, fine ray of light opens up. At the moment of their own annihilation, the images turn. It is for the inconspicuous vertical fugue to restore the pictorial balance.

The question remains why Butzer, after all that was, paints such images for seven years. From the beginning, he has painterly questioned the assaulted existence of man and still struggles with it. The gesture of his hand inscribes itself into the gesture of the paintings. An »expressive stir« that can be felt as a pictorial echo of human presence on every N-Painting.


Taking Lucca Signorelli’s allegory Vivant portant le Mort, 1500—a living body carrying a carcass on his shoulders—, Butzer finds a parable for human existence. From the elementary relation between the horizontal and the vertical, he creates a pictorial figure that inevitably reveals the finiteness as well as the possibilities of being. In this tremendous condition the N-Paintings have their immaterial measure. In imageless immediacy, each of them is unique, unrepeatable, individual. An individual that unexpectedly and ever anew challenges us to question our wavering stand in the world.

If the early N-Paintings were a crossing over to the existential place of the image, the late ones seem like a renewed turn toward the world. Together, all N-Paintings form a threshold, holding itself open for the full experience of suffering and joy, this realm and the hereafter, death and life. A threshold that »is not corporeal and at the same time still appears to be corporeal«. Completely disconcerting but completely human. Broken, ashamed and overwhelmed, upright, composed and steadfast.

Thus Untitled (Früchte), 2016-2017, is only at first glance a figurative painting. The radiant orange becomes a kind of gold ground. It creates a place of pure appearance, whereupon the two »fruits« embody both »symbols for abstraction«, with which Butzer invents his »future image of man, body, flesh and of potato chips«, as well as return and rebirth after the N-Paintings.

»These ›figures‹ [...] were always abstract, already at the very beginning. They symbolized the path from an initially unknown end point to the actual beginning«. Moreover, the gradual coming-into-their-own of the images is expressed by eight watercolors, which, like a unifying bond, take up the golden tone of Winnie the Pooh, weave themselves into the N-Paintings and eventually, springing forth from them again, lead as a flowing stream of iridescent light dots into the Früchte painting.

From the last figurative image before N to the first seemingly figurative one after N, from one of the first N-Paintings to one of the last, the exhibition spans two broad, mutually intertwined arcs. A thoughtfully related constellation, in which the simple togetherness of these four paintings gives a glimpse of the breadth and wholesomeness André Butzer’s painterly horizon of experience encompasses.