Thomas
Arnolds
Imi
Knoebel
4.9.22 – 27.11.22
16
Vier Holztafeln. Klares Weiß. Kein Motiv. Keine Geste. Kein Bild.

In der völligen Abwesenheit jeder malerischen Gefälligkeit erscheint Imi Knoebels Ohne Titel, 1970, wie eine Ansammlung schmuckloser Wandpanele, das ferne Echo eines Flügelaltars oder gar ein abdriftender Windvogel. Denkt man an den kühlen Rationalismus der Moderne, ans Bauhaus, Konstruktivismus oder Minimalismus, zeigt sich jedoch, dass die vier gereihten Platten keinem nüchtern rechtwinkligen Raster folgen, sondern eigenwillig verzogen aus sich selbst heraus Stand und Zusammenhalt behaupten.

Indem sich Ohne Titel der Abbildung von Welt verweigert, gewinnt es selbst Körper. Wird selbstbewusst Teil des Erfahrungsraumes, der auch uns umschließt. Darin gleicht es 4:33, John Cages berüchtigter Komposition ohne Komposition, in der die vermeintliche Stille klingend wird und von allem Umgebenden erfüllt. Oder Lucio Fontana, in dessen Bilder unvermittelt die Wirklichkeit schneidet.

Ohne Titel stößt uns geradezu darauf, dass die ästhetische Erfahrung zuvorderst eine physische ist und immer auch uns betrifft. Schauend stellen wir uns der sich nach rechts verjüngenden Bewegung der Tafeln entgegen. Unmittelbar sind wir Teil dieser Begegnung und alles klärt sich. Was unten oder oben ist, links, rechts, vorn, hinten. Und mit einem Mal stehen wir selbst bewusster da. Es ist, was man sieht und empfindet, sagt Knoebel, »einfach weil das seine Gültigkeit hat«. Zeit vergeht, Wind fährt ins Feld vor den Fenstern, ein blinkender Neonschriftzug bei Tageslicht …

Mit diesem scheinbar so schlichten Frühwerk gelingt es Knoebel, die unsäglich beschränkte Spaltung von puristischer Abstraktion und sozialer Lebenswelt auszuhebeln. »Nur mit Frechheit kannst du das machen!« Mit anarchischer Unabhängigkeit und gewitzter Radikalität. Denn beides gehört zusammen und wir sind mittendrin.

Oder hart davorgestellt wie bei Knoebels Mennigebild, 1996. Das massive Bild dreht sich schwebend leicht aus den Achsen der Wand wie Malewitschs ikonische Kreuze oder ein topografischer Architekturgrundriss. Die widerspenstige Nicht-Geometrie entzieht sich jeder eindimensionalen Einordnung. Auf dem Bildfeld verbinden sich verhülltes Orange und warmes Elfenbeinschwarz zu einem schimmernden Kastanienbraun. Doch die subtile visuelle Feinheit wird an den Kanten harsch entzaubert. Offen liegt das raue Holz des Rahmens zutage. Ein krude in den Raum gewuchtetes Bild-Ding. Der anmutig eingestrichene Farbraum ist nicht bloß abstrakt oder ideell, er hat einen absolut rohen Körper. Schönheit ist für Knoebel ohne solche Kargheit nicht zu haben.

Über fünf Jahrzehnte führt dies zu immer offeneren Formen und expansiv in den Raum tretenden Konstellationen. Cut-up, 2010, ist ein vielteiliges Wandrelief aus einfachen Industriematerialien in aufsässiger Anordnung. Teils unbehandelte, teils weiße und von Grün- zu Blauschwarz changierende Aluminiumstreben verwirbeln, kommen uns entgegen oder entgleiten wieder. Und immer ist der Raum miteinbezogen wie in Knoebels Standing Painting T, 2021. Einer enormen Aluminiumplatte, die sich mit fast schon organischer Silhouette ganz grundsätzlich auf den Boden stellt — den der Tatsachen oder unseren. Und plötzlich zeigt sich sogar die Farbe mit höchst individuellem Gestus, transparent, expressiv und frei.

Gegenüber der Strenge des Anfangs erscheinen Knoebels Werke heute spielerischer. Was sie behalten und zur vollen Entfaltung gebracht haben, sind das Persönliche, die Klarheit, das Ungebundene.


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Zwei weiße Gemälde. Strahlend hell. Weit ausladend. Geordnete Strenge. Gestischer Aufruhr.

Bis auf zwei diagonal versetzte Doppelkreise und einige geometrische Bruchstücke ist zunächst fast nichts zu erkennen. Die Bilder entziehen sich dem Blick. Sie kommen und gehen. Im wandelnden Licht, das sich auf der Farboberfläche bricht, treten sie in und aus der Erscheinung. Man muss sich mit ihnen bewegen, ihrer Eigenbewegung folgen. Von einer zur anderen Seite, vor oder zurück. Sehend haben wir bei den beiden Ohne Titel, 2014, Anteil am Entstehen und Vergehen von präzisen Formen und schwingenden Bewegungszüge. Erblicken die lebhafte und ›immer gerade jetzt‹ stattfindende Entfaltung der Farbe.

Unzählige filigrane Wellen, als sanftes Relief in die Farbhaut gezogen, die das gesamte Bildfeld zum Flimmern bringen oder es mit kristallinen Rauten überziehen und erstarren lassen. Gegenüber der ornamentalen, scheinbar unbegrenzten Offenheit der Fläche besitzen die Kreisformen klar konstruierte Konturen. Sie sind mit befestigter Gestalt gefasst und werden dennoch fortwährend von denselben scharfkantigen Kerben, die ihnen von innen her Festigkeit verleihen, aufgebrochen.

Zwischen optischer Akribie und geometrischem Aberwitz konfrontiert uns Thomas Arnolds mit den Grundtatsachen der Malerei. Ganz elementar und analytisch: Fläche, Farbe, Form. Höhe, Breite, Tiefe. Statik, Dynamik, Raster, Gestus. Bildbau.

Nachdem er in den vorangegangenen 10 Jahren seine Bilder wie Fassaden hochgezogen oder Mauern gefügt, die vergeistigte Abstraktion von Mondrian und De Stijl mit seinen »Küchen«-Bildern zurück in den Alltag geholt und in der darauffolgenden »Luft«-Serie mit Klee und Miró traumwandlerisch zum Schweben gebracht hat, fasst er 2014 alles, was zuvor war, in lichtem Weiß zusammen. Weiß als Spektrum, Projektionsfläche und Möglichkeitsraum. Summe und Ausblick.

Selbst wenn das Weiß einförmig scheinen mag, plötzlich zeigt sich Vielfalt in und aus derselben Materie. Wenn nichts zu erkennen ist, beginnen wir zu sehen. ›Motivlos‹ sehen wir Beziehungen und Verhältnisse. Sehen, was oben ist, was unten. Sehen, was sich abstößt oder innig anzieht. Sehen die grundlegenden Entsprechungen zwischen Bild und Welt.

Mit diesem Wissen holt Arnolds die Primärfarben in 3 enormen Gemälden wieder zurück: Ohne Titel I–III, 2015. Die Bildfelder sind in großen Schwüngen und Schlaufen aufgestrichen. Links der Mitte ist jeweils direkt aus der Tube ein einzelnes vertikales Farbband aufgelegt. Sorgsam austariert befindet sich nahe der Mitte, jedoch nie exakt in ihr, ein einzelner Punkt aus plastisch hervorgehobenen Farbfäden. Augenzwinkernd modulierte Newman-Zips und durchgespielte Kandinsky-»Punkte und Linien zu Flächen«.

Von einem zum anderen Bild verschieben sich Rot, Gelb und Blau, tauschen Rollen und Plätze. Eine Farbe, die wuchtig und gewichtig erscheint, ist gleich darauf zurückhaltend leicht und dann wieder vollkommen gelassen. Als sähen wir individuelle Temperament, die aufeinander antworten und achtsam miteinander umgehen. Eine singuläre Reihe, in der Arnolds nach den weißen Bildern die Farbe vollkommen zu sich bringt und für alle folgenden Serien wiedergewinnt.

GRID (Web), 2019, verschachtelt und verbindet somit ornamentale Texturen, Sockel oder Bänke, abstrakte Flächen und das körperliche Relief der aufgelegten Farbgespinste, die sich zu Rastern, Pflanzen oder Säulenfragmenten verschlingen. Bilder in Bildern, Bilder auf Bildern, Räume in Bildern.


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Wo Imi Knoebel expansiv und leiblich in den Raum tritt, blickt Thomas Arnolds nach Innen, auf die farbige Substanz. Beide ecken an. Machen sich überhaupt nichts leicht. Uns genauso wenig. Da beide aber von Anfang an fragen, wie es möglich ist, etwas Eigenes zu sagen, zeigt sich das künstlerische Tun bei allem ›Ungehorsam‹ als Lebenszeichen. Und das trifft uns auch — wenn wir von neuem sehen lernen, empfinden lernen.
Four wooden panels. Plain white. No motif. No gesture. No image.

In the complete absence of any painterly complaisance, Imi Knoebel's Untitled, 1970, appears like an unadorned collection of wall boarding, the distant echo of a winged altar or even like a drifting kite. Thinking of the cool rationalism of Modernism, the Bauhaus, Constructivism or Minimalism, however, it becomes apparent that the four lined up panels do not follow a rigid rectangular grid, but rather assert their stance and cohesion solely by themselves and in their own peculiarly distorted manner.

By refusing to depict the world, Untitled gains corporeality itself. Self-consciously, it becomes a part of the experiential space that surrounds us, as well. In this, it resembles 4:33, John Cage’s infamous composition without a composition, in which the supposed silence becomes sonorous, filled with everything surrounding it. Or Lucio Fontana, into whose images reality cuts abruptly.

Untitled virtually exposes that aesthetic experience is first and foremost a physical one, always affecting us, too. Our gaze intuitively counters the movement of the panels, which taper off to the right. Immediately, we are part of this encounter and everything becomes clear. What’s below or above, left, right, in front or behind. All at once, we ourselves are present more consciously. It is what one sees and feels, says Knoebel, »simply because it has its own validity.« Time passes, wind gusts into the field outside the windows, a flashing neon sign in daylight ...

With this humble early work, Knoebel succeeds in undermining the insufferably limited split between purist abstraction and the social realm. »Only with impudence can you do that!« And with anarchic independence and shrewd radicalism. Because both spheres belong together, and we are right in the middle of it.

Or placed boldly in front of it, as with Knoebel’s Mennigebild, 1996. Floatingly, the massive painting contorts the wall’s axes like Malevich’s iconic crosses or a topographical architectural ground plan. The unruly non-geometry defies any one-dimensional classification. On the plane, veiled orange merges with warm ivory black to create a shimmering maroon. But this subtle visual delicacy is harshly disenchanted at the edges. The rough wood of the frame is laid bare. A crude pictorial thing, hefted into the room. Its graceful chromaticity is spatial and not merely abstract or idealistic. It has an absolutely raw body. For Knoebel, beauty cannot be had without such barrenness.

Over five decades, this leads to increasingly open forms and expansive constellations protruding into space. Cut-up, 2010, is a multipart wall relief made of simple industrial materials in a recalcitrant arrangement. Partly untreated, partly white, partly black aluminium struts, changing from green to blue-black, swirl, push forth us or slip away again. Space is always involved, as in Knoebel’s Standing Painting T, 2021, an enormous aluminium plate that, with an almost organic silhouette, places itself quite fundamentally on the ground – the one of facts or ours. And suddenly, even the colors present themselves with highly gestural agitation, transparent, expressive and free.

Compared to the austerity of his beginnings, Knoebel’s works are more playful today, more at ease with themselves. What they have retained and brought to the full are the personal, the clarity, the unbound.


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Two white paintings. Radiantly bright. Spacious and sprawling. Rigorous and ordered. Gestural and in turmoil.

Except for two diagonally offset double circles and some geometric fragments, at first, almost nothing can be recognized. The images elude the gaze. They come and go. In the ever-changing light refracting on the color surface, they glide in and out of appearance. You have to move with them, follow their movements. From one side to the other, forwards or backwards. Seeing the two Untitled, 2014, we partake in the emergence and passing of precise forms and oscillating trains of movement. Partake in color’s liveliness, unfolding ›always just now‹.

Countless filigree waves, drawn with gentle relief into the color skin, make the entire pictorial field flicker or cover it with frozen crystalline lozenges. In contrast to this ornamental, seemingly unlimited openness of the surface, the circular forms have constructed and thus definite contours. They are fortified shapes and yet they are continually broken up by the same sharp-edged notches that give them solidity from within.

Between optical meticulousness and geometric folly, Thomas Arnolds confronts us with the fundamental facts of painting. Most elementary and analytical: surface, color, form. Height, width, depth. Statics, dynamics, grid, gesture. Pictorial construction.

After having raised his paintings like facades or dense walls in the previous 10 years, having grounded the spiritualized abstraction of Mondrian and De Stijl in everyday life again with his »Kitchen«-paintings and made them float dreamlike in the subsequent »Luft«-series with Klee and Miró, in 2014 he summarizes everything that came before in bright white. White as spectrum, projection and potentiality. Sum and outlook all at once.

Even if his white might seem homogenous, suddenly multiplicity appears. Variety in and from the very same matter. When nothing can be seen, we begin to see. Without any motif, we see relationships and ratios. See what is above, what is underneath. See what repels or intimately attracts. See the fundamental correspondences between image and world.

With this knowledge, Arnolds re-introduces the primary colors in 3 enormous paintings: Untitled I–III, 2015. The pictorial fields are painted in large sweeps and loops. To the left of the center, a single vertical ribbon of color is applied directly from the tube, spanning the entire plane. Carefully placed near the center, though never exactly in it, is a single knob of vibrant threads of color. Cheekily modulated Newman zips and playful Kandinsky »points and lines to planes«.

From one painting to the next, red, yellow and blue shift, swap roles and places. A color, massive and weighty at first, becomes reluctantly light immediately after and then again completely serene. As if we were witnessing individual temperaments responding to and attentively interacting with each other. A singular series in which Arnolds, after the white paintings, brings color completely to itself regaining it for all following series.

GRID (Web), 2019, interlaces and combines ornamental textures, pedestals or benches, abstract surfaces, and the corporeal relief of intertwined webs of color that form grids, plants, or column fragments. Images within images, images on-top of images, spacious images in spatial constellations.


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Where Imi Knoebel expansively enters into physical space, Thomas Arnolds looks inward, into the chromatic substance. Both antagonize. Never making anything easy for themselves, nor for us. But since they have always striven for the possibility to say something of their own, despite all ›disobedience‹ their artistic practices are unruly and independent signs of life. Signs that hit us, too – as we learn to see, learn to feel anew.